Naturgewaltiges Ha’apai - Tonga
Slalom
Wir sollen unbedingt nur bei Tageslicht nach Ha'apai fahren! So die Empfehlung von mehreren Seglern. Das befolgen wir, denn der Grund dafür sind die vielen Buckelwale, die überall auf dieser Strecke unterwegs sein sollen.
So verlassen wir Tongatapu in den frühen Morgenstunden und segeln Richtung Norden. Im Westen geht der Vollmond unter, im Osten kommt gerade die Sonne über den Horizont.
Es verspricht ein herrlicher Tag zu werden, mit leichtem Wind und wenig Wellen. Wir setzen unseren Helix, das neue Leichtwindsegel, und gleiten sanft über das flache Wasser. Überall sehen wir die Wale, meistens erkennen wir ihren Standort als erstes an ihrem Blas. Dann sind die Buckel sichtbar und immer wieder sehen wir welche Springen, mit den Fluken schlagen oder mit den Flippern winken. Es ist ein fantastisches Schauspiel, das sich weitgehend in der Ferne abspielt, was wir in diesem Fall sehr begrüssen. Denn wir wollen um jeden Preis eine Kollision mit einem Wal vermeiden. Deshalb sitzen wir auch beide hinten bei den Steuerständen, je einer auf Steuerbord und einer auf Backbord. Wir schauen die ganze Zeit gespannt in die vordere Richtung und versuchen die Zugbahnen der Wale zu erkennen, um zu wissen, ob wir ausweichen müssen oder ob sie von uns wegziehen.
In dieser konzentrierten Stellung macht es genau hinter meerla ppffffffffffffffffffffffhhh. So erschrocken bin ich schon lange nicht mehr! Da guckt uns doch so ein riesiger Koloss mit seinen Augen direkt an und taucht wieder ab. Der hat sich von Hinten angeschlichen und wollte wohl mal schauen, wer wir sind. Meerla hat etwa die Grösse eines Walweibchens und der Unterwasseranstrich ist schwarz, wir hoffen er hat uns nicht mit einem Walweibchen verwechselt und möchte mit uns interagieren... Doch es bleibt ruhig um uns und wir segeln weiter. Was für ein Erlebnis, ein Buckelwal in Berührungsdistanz zu haben, irgendwie schön und zugleich unheimlich. Wir segeln weiter und scannen permanent den Horizont ab, korrigieren etwas den Kurs, falls es nötig ist und da macht der Kerl mit uns nochmal das gleiche Spiel. Wieder taucht er unerwartet hinter uns auf, atmet und verschwindet wieder im grossen Blau. Dieses Mal hat er uns nicht ganz so kalt erwischt, wie beim ersten Mal.
So geht der Slalom-Kurs weiter, bis wir unseren Zwischenstopp für die Nacht erreichen. Wir wollen bis nach Pangai segeln, doch da diese Strecke für uns für einen Tag zu weit ist, suchen wir bei Nomuka Iki einen Ankerplatz.
Spuren
Die bewohnte Insel Nomuka und Nomuka Iki (Iki steht für klein) sind schwer vom grossen Tsunami gezeichnet. Der Vulkanausbruch des Hunga Tonga-Hunga Ha'apai ereignete sich erst kürzlich am 14. und 15. Januar 2022. Es waren massive Eruptionen mit einer Explosionsstärke, die stärker war als alle bisher registrierten Eruptionen der Welt seit 140 Jahren. Auch weit stärker als alle jemals durchgeführten Kernwaffentests. Durch diesen Ausbruch wurde ein Tsunami ausgelöst, der viel Schaden auf der Hauptinsel Tongatapu angerichtet und Nomuka sehr hart getroffen hat. Hier verloren viele Einwohner einfach alles. Dazu kam, dass die Region von einer 5-10cm dicken vulkanischer Ascheschicht bedeckt wurde wodurch die Wasser- und Stromversorgung stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ganz abgesehen von der schlechten Luftqualität.
Die Luftbildanbieter Google Maps und Bing Maps zeigen zeitlich unterschiedliche Luftaufnahmen dieser Region und so wird ein Teil der zerstörerischen Kraft aus der Luft ersichtlich. Die Insel bietet einen traurigen Anblick, es sind nur noch einzelne Baumfragmente übrig, die ums Überleben kämpfen.
Da es innerhalb Tonga Domestic Clearance gibt, was so viel heisst, dass man beim Wechsel von einem Gebiet ins Andere, intern aus- und einklarieren muss, darf man dazwischen nicht lange Zeit irgendwo unklariert bleiben. So geht es für uns nach einer rolligen Nacht am nächsten Tag früh los, ohne dass wir Nomuka erkunden können.
Heute hat es deutlich mehr Wind und wir segeln weiterhin unter strenger Beobachtung der Wale durch die Riffe bis nach Pangai.
Die letzten zwei Tage haben wir sicher hundert Wale gesehen! Es war schon beinahe so: ach, schon wieder ein Wal. Aber eben nur fast, denn wir schauen ihnen nach wie vor sehr gerne zu, aber bitte mit Abstand.
Und nach diesem schönen Erlebnis sind wir froh, haben wir die Empfehlung, nur bei Tag zu Segeln, beachtet.
Killer
Bereits in Nuku'alofa haben wir unzählige Autos gesehen, die entweder keine Scheibe mehr oder eine zertrümmerte Autoscheibe haben. Egal wo, Frontscheibe, Heckscheibe, auf einer Seite... Überhaupt sind die Autos oft zerbeult. Aber hier in Pangai, dem Hauptort der Ha'apai Insel-Gruppe, sind die Autos schon sehr auffällig. Nicht etwa, dass das irgendwelche tollen, gepimpten Autos wären, an denen Autoposer Freude hätten, nein ganz im Gegenteil. Nur eine zertrümmerte Scheibe gilt hier noch als fast neues Auto. Sie sind ordentlich zerkratzt, zusammengeklebt, die Tankdeckel stehen offen, weil sie deformiert sind und hey, für was braucht man denn eine Tür? Das geht doch auch super ohne. Alles was noch fährt, fährt hier herum. Und der Autokiller Nummer eins ist die Kokospalme, also nicht die Palme selbst, aber ihre herunterfallenden Nüsse...
Fundus
Wir sind in Pangai an Land, haben eben lokal einklariert und wollen uns mal den Ort und die Einkaufsmöglichkeiten ansehen.
Wir finden den ersten Laden, nicht etwa, weil er angeschrieben wäre, nein, weil ein Auto davorsteht und eine Person in das einstöckige Gebäude tritt. Wir folgen nach und finden uns in einem dunklen Raum wieder. Das einzige Licht kommt hier von der offenen Tür, es gibt drei Gestelle, auf denen die Lebensmittel und andere Ware zu finden sind. Am Boden stehen zwei Schachteln, in der einen gibt es Zwiebeln, in der anderen Kartoffeln. Auch finden wir Wassermelonen auf dem Boden liegend. Es gibt einen Kühlschrank, darin sind primär Getränke aber auch wenig importierte Früchte wie Äpfel, Birnen und Orangen. Es gibt gesalzene Butter und eine Sorte geschnittenen, milden Käse. Ganz hinten an der Wand finden wir noch Tiefkühltruhen, in denen zwischen einer dicken Eisschicht noch gefrorenes Fleisch zu finden ist. Wobei sowohl das Rindfleisch, wie auch das Hühnerfleisch nicht nach unserem Geschmack geschlachtet wurde und wir damit irgendwie nichts anfangen können. Wir Gourmets können mit so viel Knochen und Fett nicht so viel anfangen und lassen es einfach bleiben.
Der nächste Laden sieht beinahe gleich aus, hat aber etwas Licht, dafür sehen die Gefriertruhen schon sehr abgenutzt aus und nebst Lebensmitteln gibt es auch noch alles andere, was die Inselbewohner vielleicht brauchen, sich aber oft nicht leisten können. So gibt es hier auch Fadenmäher, Kinderfahrräder, Duschschläuche – wir brauchen einen – Farbdosen, Plastikblumen, Gürtel, Regenschirme oder hier eher Sonnenschirme...
Yep, der nächste Laden sieht fast gleich aus, bietet aber Peperoni (Paprika), die kaufen wir gleich. Wir ziehen weiter und finden am Ende sechs solche Supermärkte, wobei weder super noch Markt wirklich die passenden Worte sind. Es ist eher vergleichbar mit einem gut sortierten Campingkiosk in Mitteleuropa, natürlich bezogen auf die Ware, die es im Pazifik gibt. Entsprechend gibt es verhältnismässig viele Süssigkeiten und Chips. Alle Läden im Zentrum sind in chinesischer Hand und jeder bietet das Gleiche an, mit täglich wechselnden Nuancen was die Frischware betrifft. Wobei hier nicht falsche Vorstellungen aufkommen sollen, denn die Auswahl ist sehr bescheiden und steht und fallt auch mit den Wochentagen, denn am Mittwoch kommt jeweils das Versorgungsschiff.
Wir gewöhnen uns schnell an diese eher bescheidene Auswahl und sind am Ende, nach allen sechs Shops ganz glücklich, was wir alles erhalten und kehren auf meerla zurück.
Pulver gut
Da Pangai nicht der ultimativ schöne Ankerplatz ist, verlegen wir uns zur Insel Uoleva und machen uns auf zu einem Strandspaziergang. Beim Aussteigen aus dem Dinghi versinke ich schon mal im Sand und meerli an Land zu ziehen gestaltet sich nicht ganz einfach. Der Sand ist so schön pulvrig, wie wir das noch nie hatten, wir versinken tief darin, einfach nur herrlich. So stapfen wir regelrecht durch den Sand und erfreuen uns an der paradiesischen Umgebung.
Ein grosser Sandhaufen mit Palmen oben drauf und davor türkises Wasser – das ist einfach nur herrlich! Es gibt im oberen Strandbereich grüne Bodenbedecker, die hübsch blühen und ich finde eine wunderschöne Mauritia arabica, eine Arabische Porzellanschnecke - also nur noch ihr Haus.
Wir kommen aufs Schiff zurück und Allan wundert sich über ein plätscherndes Geräusch und dass unsere Wasserpumpe anspringt. Was ist los, wo läuft da unabsichtlich Wasser? Wir gehen dem nach und finden schnell die Ursache für das Geräusch, das man in einem Schiff nicht gerne hört. Unser erst kürzlich eingebauter Membraloop ist undicht und so läuft das Wasser aus unserem Tank in die Bilge. Allan baut ihn aus und schliesst unsere Hauptwasserleitung wieder wie früher gehabt, ohne Wasserfilter an. Danach heisst es die Bilge wieder trockenlegen, zum Glück war es nur Süsswasser und offenbar erst gerade passiert und bemerkt, so dass nur wenige Liter ausgelaufen sind.
Unheimlich
Wir arbeiten und essen zwischendurch Wassermelone, die irgendwann wieder raus will.
So bin ich gerade auf dem WC, als ich mich frage, warum Allan bei diesem schönen Sonnenschein den Generator startet? Doch halt, das ist nicht unser Generator, was ist denn das für ein Lärm? Ein unheimliches, durchaus lautes Geräusch im Schiff und jetzt fängt meerla auch noch zu hüpfen an! In Sekundenschnelle ist uns klar, das ist ein Erdbeben! Und wenn wir diese Auswirkungen so stark wahrnehmen, ist es entweder sehr stark oder sehr nah oder beides. Was ist zu tun? Wir sind in einer aktiven Zone und die Auswirkungen des Tsunamis vor 2 Jahren wurde uns nun schon mehrfach vorgeführt. Wir schalten den Funk auf Kanal 16 ein und konsultieren das Internet, ob Informationen vorhanden sind. Und da schüttelt es gleich ein zweites Mal, etwas weniger intensiv. Über Funk erfahren wir nur, dass auch andere im Internet nach Informationen suchen, ob es möglicherweise ein Tsunami geben könnte. Doch wir liegen nur in 5m Wassertiefe und je nachdem, wo das Beben war, setzt uns die Tsunamiwelle schon an Land, bevor wir den Anker oben haben. Also was tun? Abwarten, bis wir Informationen haben oder schnell Anker hoch und ab ins tiefe Wasser? Die Segler um uns herum bewegen sich nicht, und da erscheint auch bereits die erste Meldung, dass das Beben auf der Ostseite von uns war. Puh, da können wir aufatmen, da würde die Insel das Wasser abbremsen. Doch halt! Sekunden später wird das Epizentrum auf unsere Westseite verlegt und zwar zum Vulkan Tofua und es wird mit einer Stärke von 6.9 auf der Richterskala angegeben. Kein Wunder, dass wir das so sehr gespürt haben, liegt das doch nur 70km westlich von uns und war sehr stark. Bei schönem Wetter können wir diese Vulkaninsel sogar sehen. Die Tsunami-Entwarnung gibt es noch nicht, doch eigentlich wissen wir es schon, dass es keinen geben wird, denn der hätte uns bei dieser kurzen Distanz schon lange erreicht. Trotzdem können wir irgendwie noch nicht aufatmen und da kommt es offiziell über Funk – keine Tsunami-Warnung. Puh, Glück gehabt! Ein bisschen aufgewühlt arbeiten wir weiter...
Waltag
Die Wale sind hier täglich weiterhin präsent, sehen wir sie doch immer in der Ferne springen, winken, atmen...
Mit einem etwas grösseren Schlauchboot als unser Dinghi machen wir uns auf die Suche nach Buckelwalen, um sie etwas mehr aus der Nähe beobachten zu können. Leider ist es ein Regentag aber trotzdem erfreuen wir uns an den Begegnungen mit ihnen, macht es doch den Eindruck, dass sie sich von uns nicht stören lassen. Ob das wirklich so ist, wissen wir nicht und können es irgendwie auch nicht ganz glauben. Ein junges Walkalb schwimmt neugierig um uns herum und als es stärker zu regnen beginnt, macht es den Eindruck, als ob es sich ab dem Süsswasser erfreut und öffnet den Mund. Wir wissen nicht, warum Buckelwale einige Dinge tun wie springen, mit der Fluke schlagen, gefühlt unkontrolliert mit den Flippern winken, auf dem Rücken schwimmen.... Aber eines wissen wir, ihnen zuzusehen ist ein unglaubliches Privileg und sie scheinen sehr verspielt zu sein, zumindest die Jungen. Diese tollen oft um die Mutter herum, wenn sie nicht gerade von ihr etwas lernen müssen.
Unsere vielen Begegnungen mit den majestätischen Buckelwalen, ob fern oder etwas näher, sind beeindruckende Erlebnisse. Diese Begegnungen mit den grössten Säugetieren dieser Welt sind ein aussergewöhnliches Naturschauspiel, das uns jedes Mal aufs Neue fasziniert.
Die Wale bleiben noch einige Wochen in Tonga - und wir auch - so freuen wir uns also noch auf hoffentlich viele weitere Begegnungen mit ihnen. Aber bitte immer mit Abstand...
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